Monday, October 01, 2012

POLITIK: Weihwasser gegen Unheil. Von Christian Esch (fr-online.de)

(fr-online.de) Vor den Wahlen in Georgien wachsen die Spannungen im Land - vor allem der Folterskandal überschattet die politischen Auseinandersetzungen in der Kaukasusrepublik.

Vielleicht hilft es ja, was der Patriarch der Orthodoxen Kirche Georgiens am Freitag angeordnet hat: Sämtliche Städte und Dörfer des Landes sollten mit Weihwasser besprengt werden, um Unheil bei den Parlamentswahlen vom Montag abzuwenden. Der dramatische Einsatz der Priesterschaft zeigt, wie groß die Angst in der Kaukasusrepublik vor Spannungen, ja Gewalt ist.

Seit eine friedliche „Rosenrevolution“ Präsident Michail Saakaschwili an die Macht spülte, ist keine Wahl so umkämpft gewesen wie die heutige. Saakaschwili hat acht Jahre lang den zerrütteten Staat modernisiert und auf Westkurs gebracht, und er hat sich dabei viele Gegner gemacht, aber keine starken.

Georgiens reichster Mann

Das ist nun erstmals anders. Georgiens reichster Mann, Bidsina Iwanischwili, hat die Opposition geeint. Die Zeitschrift Forbes schätzt sein Vermögen auf 6,4 Milliarden Dollar – das wäre so viel wie der gesamte Staatshaushalt des armen Landes. Iwanischwili war bisher als diskreter Mäzen bekannt, nicht als Politiker. So hat er Georgiens größte Kathedrale finanziert, die Renten von Schauspielern aufgebessert und der neuen Verkehrspolizei – einem Lieblingsprojekt Saakaschwilis – Uniformen spendiert.
Noch vor wenigen Wochen sah sich Saakaschwilis „Vereinte Nationale Bewegung“ in Umfragen deutlich vor Iwanischwilis Koalition „Georgischer Traum“ und den oppositionellen Christdemokraten. Aber dann hat ein Folterskandal dem Präsidenten und Parteiführer schwer geschadet. Regierungskritische Fernsehsender, darunter einer der Iwanischwili-Familie, veröffentlichten erschütternde Videoaufnahmen aus dem Tiflisser Gefängnis Nr. acht. Sie zeigten Aufseher, die Häftlinge systematisch schlugen, erniedrigten, mit Besen vergewaltigten. In den Straßen der Hauptstadt demonstrierten daraufhin Studenten mit Besenstielen in der Hand.

Die Bilder zeigten schlagartig die Schattenseite von Saakaschwilis Modernisierung. Er hat zwar die Kriminalität auf der Straße besiegt, aber nun wird die Gewalt eben vom Staat selbst ausgeübt, in hochmodernen Gefängnissen, sagt die Opposition. Die Regierung zog rasch Konsequenzen. Der Innenminister trat zurück, der Minister für Strafvollzug wurde mit einem Menschenrechtsbeauftragten ersetzt, leitende Gefängnisbeamte wurden verhaftet. Zugleich aber wirft die Regierung der Opposition vor, sie sei verbündet mit Mafiabossen, die aus den Gefängnissen und aus dem Exil eine Revanche suchten.

Inhalte spielen keine Rolle

Um das zu belegen, wird ein schmutziger Krieg in den Medien geführt. Die Behörden selbst bringen kompromittierende Materialien in Umlauf. So präsentierte das Innenministerium eine Tonaufnahme eines angeblichen Gesprächs zwischen Kriminellen und Kacha Kaladse. Kaladse ist der prominenteste Fußballerspieler des Landes und kandidiert für Iwanischwili. Die Oppositionsmedien wiederum zeigten uralte Aufnahmen, die Saakaschwilis Einflussnahme auf die Fernsehsender beweisen sollten.
Wahlprogramme spielen kaum mehr eine Rolle, sie unterscheiden sich auch nicht stark. Am Kurs der Westintegration will auch Iwanischwili nicht rütteln, er verspricht aber eine Entspannungspolitik gegenüber Russland, dem Kriegsgegner von 2008. Weil er aber selbst sein Geld in Moskau verdient hat, sieht die Regierung in ihm einen Agenten Putins.

Je näher die Wahlen rücken, desto angespannter ist die Stimmung. Rund dreißig Aktivisten der Opposition sind festgenommen worden. Ein Leibwächter Iwanischwilis, der am Kompromati-Kampf beteiligt war, wird von seiner Familie vermisst.

Für Präsident Saakaschwili hat die Wahl besondere Bedeutung: Er kann laut Verfassung im Herbst 2013 nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Da aber zugleich eine Verfassungsänderung in Kraft treten wird, die die Macht des Präsidenten weitgehend auf den Premierminister überträgt, könnte Saakaschwili in einem Jahr selbst Regierungschef werden.

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