Monday, October 01, 2012

INTERVIEW: "Es ist das Ende der Ära Saakaschwili" - Mit Ghia Nodia sprach Markus Bernath (derstandard.at)

(derstandard.at) Wegen der Verfassungsänderung haben Georgiens Parlamentswahlen große Bedeutung, erklärt der Politikprofessor Ghia Nodia

Die Kaukasusrepublik gibt 2013 das Präsidialsystem auf. Mit Nodia sprach Markus Bernath. 

Ghia Nodia (58) ist Politikwissenschafter und Direktor der 

Internationalen Schule für Kaukasusstudien an der staatlichen 

Ilia-Universität in Tiflis. 2008 war er ein Jahr lang Bildungsminister.
foto: standard/bernath
(Ghia Nodia (58) ist Politikwissenschafter und Direktor der Internationalen Schule für Kaukasusstudien an der staatlichen Ilia-Universität in Tiflis. 2008 war er ein Jahr lang Bildungsminister.)

STANDARD: Georgien kommt nie wirklich zu Ruhe. 2007 sollte Staatschef Saakaschwili mit Straßenprotesten gestürzt werden, 2008 war der Krieg mit Russland, jetzt ist ein Oligarch aufgetaucht, der sich eine Parteienkoalition gekauft hat und Präsident und Regierung bei den Parlamentswahlen herausfordert. Was ist los mit diesem Land?

Nodia: Wir haben kein stabiles Parteiensystem, keine stabile Zivilgesellschaft, aber wir sind gleichzeitig eine recht offene Gesellschaft. Sie können den Präsidenten und die Regierung kritisieren, es gibt freie Medien, aber weil die Stabilität fehlt, kommt es immer wieder zu Mobilisierungen ohne Ergebnisse. Die politische Kultur des "alles oder nichts" tut ihr Übriges: Schafft die Opposition es nicht, durch Wahlen an die Macht zu kommen, ist sie enttäuscht und organisiert Proteste.

STANDARD: Was bedeuten diese Parlamentswahlen nun für Georgien?

Nodia: Diese Wahlen sind aus zwei Gründen wichtig. Einmal wegen der Verfassungsänderung, die in Kraft tritt und Georgien von einem präsidialen zu einem parlamentarischen System machen wird. Das Parlament, das nun gewählt wird, hat also eine viel größere Bedeutung. Zweitens endet nächstes Jahr die Amtszeit von Präsident Saakaschwili. Wir wissen nicht genau, was danach geschieht. Ob Saakaschwili dann Premierminister wird oder ob der derzeitige Regierungschef Vano Merabischwili, wie er selbst gesagt hat, vier Jahre im Amt bleiben wird. Aber so oder so ist es das Ende der Ära Saakaschwili. Diese Wahlen legen fest, was nach Saakaschwili kommt.

STANDARD: Welche Chancen haben Bidsina Iwanischwili und seine Koalition?

Nodia: Die Umfragen hatten vorausgesagt, dass Iwanischwilis Koalition verliert, aber im neuen Parlament einen stärkeren Platz als die heutige Opposition einnehmen wird. Das war vor dem Skandal um die Folter in den Gefängnissen. Jetzt ist es sehr schwierig, Prognosen abzugeben. Mein Gefühl sagt mir, dass Saakaschwilis Partei der Nationalen Bewegung immer noch gewinnen wird, aber mit einem sehr viel kleineren Vorsprung. Die große Sorge ist, was nach den Wahlen passiert. Wenn Iwanischwili verliert - so die allgemeine Erwartung -, wird er das Ergebnis nicht akzeptieren. Dann gibt es wieder Straßenproteste.

STANDARD: Welchen Einfluss nimmt Russland auf diese Wahlen?

Nodia: Die Beobachtermission der EU hat eine Konzentrierung russischer Truppen an den georgischen Grenzen festgestellt. Einige russische Regierungsvertreter haben wegen des Folterskandals auch Kommentare über die Menschenrechtslage in Georgien abgegeben. Natürlich gibt es die Furcht, dass Russland im Fall größerer Unruhen nach den Wahlen hier wieder eingreift.

STANDARD: Was ist mit Iwanischwilis Verbindungen zu Moskau?

Nodia: Da sind wir im Bereich der Verschwörungstheorien. Die georgische Regierung wirft ihm das vor, aber einen Beweis gibt es nicht.

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