Thursday, October 18, 2012

VIDEO: Khatia Buniatishvili spielt das Klavierkonzert a-Moll von Robert Schumann (liveweb.arte.tv)



(liveweb.arte.tv) Mit dem hr-Sinfonieorchester unter der musikalischen Leitung von Paavo Järvi 

www.khatiabuniatishvili.com

Beschreibung

Die Feuilletons sind sich einig: Die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili ist nicht nur eine aparte Erscheinung, sondern zugleich eine der vielversprechendsten Musikerinnen der jüngeren Generation. Gerade erst würdigte der Tagesspiegel die junge Künstlerin: »Buniatishvili verfügt ohne Zweifel über ein außerordentliches Talent: ein echt pianistisches nämlich, nicht nur ein musikalisch-musikantisches. Lange hat man wohl kein so betörendes Piano-Spiel mehr gehört, eines, das sich so extrem, ja extremistisch an die Grenzen der Hörbarkeit wagt – und trotzdem so herrlich sinnlich klingt. Die 24-Jährige besitzt, was man einen Anschlag nennt, ein Funkenschlagen, sobald Finger und Tasten sich berühren, einen siebten Sinn für mürbeste Licht- und Schatten-Spiele.« Perfekte Voraussetzungen also für die Interpretation von Robert Schumanns poetischem Klavierkonzert ...

Im Programm:

Peter Ruzicka
»Clouds« für großes Orchester (Auftragskomposition 2012 für das hr-Sinfonieorchester - Uraufführung)

Robert Schumann
Klavierkonzert a-Moll op. 54

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 1 D-Dur »Der Titan«

Bildrechte: HR/Julia Wesely



Khatia Buniatishvili im Interview mit Axel Brüggemann auf dem roten Teppich der ECHO Klassik Verleihung 2012 im Konzerthaus Berlin. 
  

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Die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili spricht im Interview über Chopin, Verantwortung und Körperlichkeit. 

Morgen bekommt Khatia Buniatishvili einen Echo als Nachwuchskünstlerin des Jahres. Die vor 25 Jahren in Georgien geborene Pianistin hat in Tiflis und in Wien bei Oleg Maisenberg studiert und bislang zwei CDs veröffentlicht: Dem Liszt-Album im letzten Jahr folgte eine Auswahl von Werken Frédéric Chopins, darunter die Klaviersonate in b-Moll und das Zweite Klavierkonzert mit dem Orchestre de Paris unter Paavo Järvi. Khatia Buniatishvili verfolgt dabei ganz andere Ziele als Josef Bulva, der am Mittwoch an dieser Stelle über seine Chopin-CD sprach: Der 69jährige Bulva vertritt ein klassizistisches Chopin-Bild und orientiert sich streng am scharfsinnig analysierten Notentext; seine Tempi sind streng, der Klavierklang schattenlos klar und bis ins kleinste Detail artikuliert. Khatia Buniatishvili dagegen strebt nach einer subjektiven Gesamtschau: Sie versteht Chopin literarisch und hat ihre CD mit eigenem Text, vielen Fotos und einem selbstgeschriebenen Film mit ihr selbst in der Hauptrolle versehen

Frau Buniatishvili, Sie wurden früh sehr intensiv gefördert und haben zugunsten des Klavierspiels die Schule abgebrochen. In dem Dokumentarfilm „Wunderkinder“ wurde beeindruckend gezeigt, wie intensiv der russische Staat junge Begabungen fördert, sie aber auch fallen lässt, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Waren Sie in Georgien jemals in dieser Weise gefährdet? 
 
Die Bezeichnung „Wunderkind“ traumatisiert ein Kind und belastet es mit der Verantwortung: „Du musst etwas Besonderes werden“. Natürlich muss man als Kind Verantwortungsgefühl entwickeln, aber nicht deswegen, weil man der Beste sein will, sondern, weil das, was man macht, einen Wert hat. Es gibt keinen „Besten“ in der Kunst. 
 
Haben Sie dieses Verantwortungsgefühl mitgebracht oder wurde es Ihnen in der Familie vorgelebt? 
 
Ich habe es gelernt, aber es ist auch in mir. Ich war nicht faul, aber ich wollte träumen, und was man träumt, das bleibt nur im Kopf. Das Verantwortungsgefühl hat mir geholfen, meinen Träumen zur Wirklichkeit zu verhelfen. 
 
Ich habe Sie im lmit Liszts h-Moll-Sonate im Kammermusiksaal gesehen. Ich habe noch nie ein Klavierspiel von derart explosiver Körperlichkeit erlebt – nun sitzen Sie mir verblüffend gesittet gegenüber. Was geht da auf der Bühne in Ihnen vor? 
 
Bis ich nach Wien zu bei Maisenberg kam, war ich körperlich sehr ruhig. Mein musikalisches Temperament war nicht anders als heute, aber ich hielt irgendwie Abstand zum Klavier. Maisenberg hat dann gesagt, dass es arrogant aussähe – was es für mich nicht war. Aber Maisenberg wollte, dass ich stärkeren Kontakt zum Instrument habe und jede Stimme, jeden Klang mit dem Körper fühle. Anfangs war es schrecklich, fühlte sich unnatürlich an, bis ich verstanden habe, dass Körpersprache nicht unnatürlich sein kann. Auf der Bühne ist man sehr nackt mit seinen Emotionen. Mir gefällt es oft nicht, was ich von mir sehe, aber es muss sich von innen und im Moment richtig anfühlen. Ehrlichkeit ist für mich sehr wichtig, in der Kunst und im Leben.

Wann sind Sie Chopin begegnet? 
 
Mit zehn habe ich das cis-Moll-Impromptu gespielt. Die Polonaisen waren und sind nicht meine Lieblingsstücke, mir liegen eher die Mazurken und Nocturnes, mein Geschmack ist noch immer der gleiche wie damals. 
 
Ihr Kollege Josef Bulva zählt bei Chopin Taktgruppen, bestimmt so die Phrasierung. Machen Sie das auch? 
 
Nein. Noten sind wichtig, um die Musik ungefähr zu verstehen, sie sind ein Durchgangsstadium zwischen Leben und Kunst. Takte sorgen lediglich dafür, dass die Musik nicht chaotisch ist, bei der Phrasierung aber stören sie manchmal. Phrasierung ist für mich, dass ich einer Stimme im Kopf folge, sie erzählt eine Art Geschichte. Die Melodie im Kopf zeigt mir, wo ich atmen oder betonen muss, nicht die in den Noten, die von Taktstrichen geteilt wird. Gerade bei Chopin muss es natürlich fließen, das heißt auch, dass ich sie jedes Mal anders spielen werde, je nachdem, wie ich es gerade höre. Ich sage nicht, dass ich recht habe, es gibt zum Glück in der Musik kein Rechthaben.

Warum endet die CD nicht mit dem Zweiten Klavierkonzert, sondern mit der kleinen Mazurka? 
 
Ich wollte nicht im Fortissimo enden. Fortissimo ist etwas Allgemeines, eine Masse. Damit konnte ich mein Bild von Chopin als einsamen Menschen nicht wiedergeben.

Im Booklet bezeichnen Sie Chopins Musik als „Opfer einer herumirrenden Seele“. Was meinen Sie damit? 
 
Liszt zum Beispiel war kein Opfer. Er hatte ein reiches Leben, er war gefeierter Künstler, Lebemann, Lehrer, Dirigent. Das ist bei Chopin anders. Er hatte kein Glück im Leben, er war zu sensibel, um Konzerte zu geben. Und er hat seine Musik eigentlich nicht für andere geschrieben, sondern für sich. Aber gerade dadurch hat er uns sein Innerstes überliefert und ausgeliefert – ohne etwas dafür zu bekommen.

Sie sind im Booklet körperlich ähnlich präsent wie im Konzert und vielfältig abgebildet – folgt das dem alten Grundsatz „sex sells“? 
 
Bei CDs folgen die Fotos einem Konzept. Ich habe dem Fotografen gesagt, dass ich bei Chopin Dinge wie „Nostalgie“, „Melancholie“, „Jugend“, „Liebe“ assoziiere, die in den Fotos zum Ausdruck kommen sollen. Haut ist mir auf diesen Fotos in der Tat sehr wichtig, denn die Haut zeigt Jugend oder Alter, Gesundheit oder Krankheit an. Bei Chopin ist mir diese Kombination von Jugend und Krankheit sehr wichtig.

Sie spielen auch in einem Film mit, den Sie selbst geschrieben haben – hat Musikmachen auch etwas mit Schauspiel zu tun? 
 
Es hat nichts mit Schauspielen zu tun, aber beides hat mit Fantasie zu tun. Auf der CD ist der Film nur ein kleiner Aperitif, der Chopin nicht vollständig erklären, aber die Richtung zeigen soll, in der ich ihn verstehe. Die Musik ist immer noch die Hauptsache.

Aber es ist doch deutlich eine andere Person in dem Film als Sie selbst? 
 
Es ist ein Teil von mir. Ich bin sehr bunt. Mit jeder CD möchte ich eine Seite von mir zeigen, und wenn ich sterbe, hoffe ich, alle Seiten von mir gezeigt zu haben. Vielleicht suche ich mich selbst auf diese Weise. Natürlich muss man Schumann und Chopin stilistisch auseinanderhalten, aber dann muss sich die Musik in das eigene Leben verwandeln. Und dann ist man, wie gesagt, sehr nackt auf der Bühne.

Die Fragen stellte Peter Uehling

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