Monday, October 01, 2012

GEORGIEN WÄHLT: "Iwanischwili ist für uns wie ein Messias"

(heute.de) Parlamentswahl in Georgien beginnt 08:23Uhr 

Überschattet von einem Folterskandal in georgischen Gefängnissen hat in der Südkaukasusrepublik die Parlamentswahl begonnen. Die Abstimmung entscheide über das Schicksal Georgiens, sagte Präsident Michail Saakaschwili bei der Stimmabgabe. Bei der Wahl will der Milliardär und Oppositionsführer Bidsina Iwanischwili das Machtmonopol von Saakaschwili brechen. Rund 3,6 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, die 150 Abgeordneten zu wählen. Nichtregierungsorganisationen kritisierten, dass Oppositionsaktivisten im Vorfeld der Wahl unter Druck gesetzt und festgenommen worden seien.


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Von Mareike Aden, Batumi
So mancher Georgier feiert ihn "wie einen Messias" - den Milliardär Bidsina Iwanischwili. Der Oligarch hat die Opposition hinter sich vereint. Und seine Wahlkämpfer rennen vor der Parlamentswahl viele offene Türen ein. Denn selbst einst glühende Anhänger wenden sich von Präsident Saakaschwili ab. So wie im Schwarzmeer-Ort Batumi.

An der Strandpromenade von Batumi, der westgeorgischen Stadt am Schwarzen Meer, vermischt sich Baulärm mit dem Meeresrauschen. Einige internationale Luxushotelketten haben ihre Nobelherbergen schon fertig, aber viele bauen noch. Niedrige Steuern und wenig Bürokratie haben Investoren aus dem Ausland angelockt. Seit Präsident Michail Saakaschwili 2003 an die Macht kam, träumt er davon, Georgien in eine Touristenhochburg zu verwandeln und damit einen neuen, starken Wirtschaftszweig zu schaffen in dem von der Agrarwirtschaft geprägten Land.

Schnaps aus dem Brunnen

In der Region Adscharien, dessen Hauptstadt Batumi ist, setzt man diesen Plan besonders eifrig um. Der Bürgermeister plant derzeit eine neue Touristenattraktion: Er lässt einen Brunnen bauen, aus dem einmal wöchentlich georgischer Schnaps sprudeln wird. Und das regionale Tourismusministerium vermeldet für 2012 einen Rekord: Von Januar bis Juli hätten 900.000 Touristen Adscharien besucht - das sei ein Drittel Besucher mehr als im Vorjahr.

Die 41 Jahre alte Inga Werulidse aus dem Küstenort Kobuleti, rund dreißig Kilometer nördlich von Batumi, mag Lobeshymnen auf den Tourismus nicht mehr hören. "Die zählen jeden Ausländer, der bei uns über die Grenze kommt, aber längst nicht jeder bleibt, um Urlaub zu machen", sagt sie. Doch auch Inga und ihr Mann haben einmal an Saakaschwili und seine Visionen geglaubt. Als Saakaschwili im Zuge der Rosenrevolution Präsident wurde, waren die Werulidses feurige Anhänger des jungen, intelligenten Politikers. Schließlich trat er auf wie ein moderner Politiker aus dem Westen, so ganz anders als der alternde Ex-Sowjetpolitiker Eduard Schewardnadse, unter dem Georgien zuletzt in Korruption und Chaos zu versinken drohte.

Und dann kam der Krieg
Die Werulidses nahmen 2006 einen Kredit auf, um ihre Lebensmittelgeschäfte in Batumi und Kobuleti zu vergrößern. Die meisten Lebensmittel importierte Ingas Mann selbst per Lastwagen aus der Türkei. "Es lief gut, aber als der Krieg kam, konnten wir unsere monatlichen Kreditraten nicht bezahlen", sagt sie. Zwar erreichte der so genannte Fünf-Tage-Krieg zwischen Russland und Georgien um die abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien nicht Adscharien, aber Touristen kamen trotzdem nicht.Die Werulidses verloren ihr Haus, auf das sie eine Hypothek aufgenommen hatten. Mittlerweile müssten sie 200.000 US-Dollar zahlen, um das Haus von der Bank zurückzukaufen. Sie haben Unterschlupf bei Verwandten gefunden, Ingas Mann arbeitet nun als Erntehelfer in der Türkei und Inga in einem Restaurant – für umgerechnet zehn Euro pro Tag. 

"Wie ein Messias"
 "Man hatte uns niedrige Zinsraten versprochen, aber dann wuchsen sie auf über 30 Prozent. Und trotz des Krieges bekamen wir keinen Aufschub", sagt Inga und immer wieder wischt sie sich Tränen aus den Augen. Allein in Kobuleti gäbe es bis zu 200 weitere Familien, denen ein ähnliches Schicksal drohe, sagt sie. Sie alle hätten auf den Tourismus gehofft und Kredite aufgenommen. "Wir sind enttäuscht von der Regierung, aber nun gibt es ja jemanden, der uns retten kann."Sie meint den 56 Jahre alten Oligarchen Bidsina Iwanischwili, der bisher vor allem für diskrete Wohltätigkeit bekannt war, aber vor einem Jahr überraschend in die Politik ging, um Saakaschwili und dessen Partei herauszufordern. "Iwanischwili ist für uns wie ein Messias", sagt Inga Werulidse. Sie hat genug von Saakaschwilis Prestigeprojekten und ihr gefällt Iwanischwilis Versprechen, mit seinem eigenen Vermögen Sozialfonds aufzufüllen. "Ein paar Straßen zu bauen und den Menschen Elektrizität zu verschaffen wie Saakaschwili – das kann doch nur der Anfang sein", sagt Inga Werulidse. Im Moment wirtschafte sich der Präsident nur in die eigene Tasche, glaubt sie und setzt zu einer Schimpftirade an. 

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Kampf um die Macht 
Iwanischwilis politische Initiative im Parlamentswahlkampf ist auch ein Angriff auf Saakaschwilis persönliche Macht. Denn der amtierende Präsident ist im letzten Jahr seiner zweiten Amtszeit. Für eine dritte darf er laut Verfassung nicht antreten und so glauben viele, dass Saakaschwili langfristig den Posten des Premierministers anstrebt. Fest steht, dass er zumindest einen Verbündeten als Premier sehen möchte. Denn der Posten des Ministerpräsidenten wird formal der wichtigste im Land, wenn Georgien wie bereits beschlossen im kommenden Jahr von einer Präsidialrepublik zu einer parlamentarischen Republik wird.

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Angst vor Wahlfälschung 
"Viele Menschen hier sind vom Tourismusmärchen desillusioniert", sagt auch der Arzt Koba Naikidse, der die Wahlkampfzentrale von Iwanischwilis Koalition in Kobuleti leitet. Seit Wochen gehen er und andere Oppositionsaktivisten in Kobuleti von Haus zu Haus und werben für den "georgischen Traum". Sie hätten es leicht, die Unzufriedenheit sei riesig, sagt Naikidse. "Die Leute wollen wieder normale Beziehungen mit Russland und dass der Handel wie vor dem Krieg funktioniert. Vor allem Bauern wissen nicht wohin mit ihrer Ernte", sagt der Oppositionsaktivist. Seit dem Krieg hat Russland die Einfuhr von georgischen Agrarprodukten und Wein verboten.Inga Werulidse hofft, dass der Skandal um die Foltervideos aus georgischen Gefängnissen, der seit Tagen Zehntausende Menschen im Protest auf die Straße treibt, nun Saakaschwilis politisches Ende beschleunigt. Zuletzt hatten Umfragen Saakaschwilis Regierungspartei noch in Führung gesehen, aber die stammen aus den Zeiten vor den Massenprotesten. Für Inga Werulidse steht ohnehin schon fest: "Wenn die Opposition nicht gewinnt, heißt das: Die Wahl wurde manipuliert". Dann will sie auf die Straße gehen – wie 2003 in Zeiten der Rosenrevolution, damals noch für Saakaschwili. Kampf um die Macht Iwanischwilis politische Initiative im Parlamentswahlkampf ist auch ein Angriff auf Saakaschwilis persönliche Macht. Denn der amtierende Präsident ist im letzten Jahr seiner zweiten Amtszeit. Für eine dritte darf er laut Verfassung nicht antreten und so glauben viele, dass Saakaschwili langfristig den Posten des Premierministers anstrebt. Fest steht, dass er zumindest einen Verbündeten als Premier sehen möchte. Denn der Posten des Ministerpräsidenten wird formal der wichtigste im Land, wenn Georgien wie bereits beschlossen im kommenden Jahr von einer Präsidialrepublik zu einer parlamentarischen Republik wird.

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